Magdalena Fasching

In Between - Irgendwo im Nirgendwo

(Der Versuch eines halbwegs fundierten Zeitungsartikels ausgehend von dem Kurztext (ein Kapitel aus Daniela Schmeisers Buch), der uns in TextKunstText vorgelesen wurde

 

ICH DENKE, ALSO BIN ICH

Oder: Wenn die Fähigkeit zu denken, zur Qual wird

 

„Cogito ergo sum“ ist der erste Grundsatz des Philosophen René Descartes, den er Jahrhunderte später von Sokrates wieder aufgenommen hat.  Auch wenn er selbst stets an dieser Aussage zweifelte, so bildete sie doch das Fundament für eine Erkenntnisfähigkeit, die er immer wieder darauf aufbaute. Doch nicht für alle ist die Gabe der Kognition von Vorteil. Auch wenn man inzwischen weiß, dass das Denken das Sein ausmacht, so lässt sich der umgekehrte Schluss nicht wirklich vertreten, denn genau jener würde dann besagen, dass es ohne Denken kein Sein gäbe. Über Jahrzehnte hinweg hat die Wissenschaft aber immer wieder bewiesen, dass sehr wohl die Möglichkeit des schlichten Seins besteht, auch wenn jegliche Form des Denkens ausgeschlossen ist. Man möge nur an Komapatienten denken, wobei es sich hier um bloße Vermutungen handelt, da sich ein Mensch in komatösem Zustand nur schwer bis gar nicht mitteilen kann und sich so nur Mutmaßungen über dessen Kognition erschließen lassen. So stellt sich also die Frage, ob das Sein über das kognitive Erleben definiert wird, oder ob es schlichtweg an die physische Funktion gekoppelt ist. Das Sein in diesem Sinne darf hierbei nicht mit der Aussage „Ich bin“ gleichgesetzt werden, denn  ich bin erst, wenn meine Kognition, die sowohl das Bewusstsein, als auch das Denken umfasst, einsetzt. Dieses Sein, das die Antwort auf die Frage: „Wer bin ich?“ bietet, entsteht also erst, wenn sich durch mein bewusstes Erleben Erfahrungen und Erinnerungen bilden, die ich gewissen Situationen, Ereignissen, aber auch Personen zuschreiben kann und somit in meinem Gehirn ein Bild meiner Umwelt und meiner Selbst entsteht. Mittels dieser Fähigkeit gelingt es uns, unserer Umwelt Eigenschaften zuzuschreiben, den Dingen Namen zu geben, Meinungen zu bilden und Vorstellungen zu bekommen. Aber nicht nur unser Umfeld erlangt dadurch in unserer Sprache Raum und Gestalt, sondern auch wir selbst. Durch das permanente Reflektieren unseres eigenen Verhaltens, sowie des Verhaltens unserer Mitmenschen, gelingt es auch, uns selbst zu beschreiben, uns Eigenschaften zuzuordnen und Individuen zu kreieren. Menschen, die denken, also auch „sind“.

Zur Last wird die Fähigkeit des Denkens jedoch dann, wenn das Individuum nicht mehr im Stande ist, den einzelnen Gedanken bewusst und kontrolliert nachzugehen und ihn bei Möglichkeit auch wieder bei Seite zu legen beziehungsweise abstellen kann. Wobei auch hier wieder die Frage bleibt, wie weit man seine Gedanken überhaupt steuern und kontrollieren kann und ob es den Zustand der absoluten (kognitiven) Stille überhaupt gibt, oder ob der Mensch in einem permanenten Zustand des Denkens bleibt, selbst wenn er glaubt gerade nichts zu denken. Gedankenloses Handeln lässt sich daher aus meiner Sicht nicht mit nicht-denken beschreiben, sondern lediglich mit einem nicht bewussten Denken, möglicherweise mit einer dissoziierten Abspaltung der bewussten Gedanken.

In der psychiatrischen Medizin wird jedoch immer wieder beobachtet, dass Menschen unter der Fähigkeit zu Denken leiden. Wohlgemerkt weniger unter der Fähigkeit selbst, sondern mehr unter der Art und Weise des Denkens und der Bedeutung ihrer Gedanken. Patienten beschreiben ihre Gedanken als laute Stimmen, störend, übermächtig und im Alltag hindernd. Im Gegensatz zu halluzinierten Stimmen, nehmen Betroffene diese „Gedankenstimmen“ aus deren Kopf kommend war. „Es ist, als würde ständig jemand in meinem Kopf reden und ich bin gezwungen zuzuhören“, schildert ein Patient. Auf die Frage, ob diese Stimmen mehr von außen kommen und ob sie Befehle erteilen, verneinte der Patient dieses. Dennoch sei seine Konzentration auf Grund des permanenten Gemurmels in seinem Kopf stark beeinträchtigt.

Die Pharmaindustrie nimmt sich laufend dieses Phänomens an und entwickelt stetig sogenannte Neuroleptika, die genau jenes Gedankenkreisen unterbinden sollen. Diese Medikamente bilden jedoch nur einen kleinen Teil einer effektiven Therapie. Ebenso wichtig ist es, den Betroffenen über dessen Chaos, wie er es wahrnimmt, sprechen zu lassen und ihm so die Möglichkeit zu geben, seine Gedanken neu zu ordnen. Weiters wird versucht, mögliche Stresssituationen im Alltag zu schmälern und dementsprechende Bewältigungsstrategien zu erarbeiten. Denn nicht selten sind Stress und andere Belastungen Auslöser für jenen Zustand.

Ob nun Gabe oder Fluch, unsere Gedanken sind das Fundament unseres Lebens. Unseres SEINS. Die Fähigkeit zu Denken ermöglicht uns nicht nur, Dinge zu beschreiben und zu beurteilen, sie ermöglicht uns auch einen permanenten Prozess des Weiterentwickelns, des Verstehens und des Lernens.