Magdalena Fasching

In Between - Irgendwo im Nirgendwo

Referenz auf die Referenz des Zeitungsartikels von Ilse Eichinger (1948)

 

„Wo soll das hinführen?“, frage ich.

„Wie soll das enden?“, überlege ich.

„Was soll aus uns werden?“, denke ich.

„Wer sind wir und wohin gehen wir? Welcher Sinn steht dahinter und gibt es ihn überhaupt- diesen einen Sinn? Den Sinn des Lebens? Was bedeutet Existenz und lässt sie sich einfach beweisen oder leugnen? Wegrationalisieren und ersetzen? Durch digitale Netze und Systeme?“

Ich suche eine Freundin. Brauche ihre Nummer. Greife nach dem Telefonbuch. Weg. Die Zeile, in der ihr Name stand, wurde durch einen anderen Namen ersetzt.

„Das gibt es nicht“, stammle ich.

„Nein, das glaube ich nicht“, sage ich zu mir und wundere mich.

„Wo ist sie hin?“, frage ich, „etwa weggezogen?“

Oder doch gestorben?

Gestern war sie noch hier“, tröste ich mich.

Ich gehe zu meinem Schreibtisch. Klappe den Bildschirm hoch. Tippe ein paar Tasten. Da ist es- das Profil derjenigen, nach der ich suche. Aktiv.

Aber keine Einträge.  Keine NEUEN Einträge. Alle alt und längst gelesen.

Und da frage ich mich: „Kann es denn sein, dass man weg und trotzdem noch hier ist? Dass man gar nicht mehr existiert und dennoch weiterlebt? Weiterspukt? Im Netz?“

Was einmal hochgeladen ist, wird immer im Internet sein, selbst, wenn man glaubt, es wieder gelöscht zu haben. Irgendwo ist es gespeichert. Für immer. Und immer. Jedes Foto. Jeder Kommentar. Es lebt- das virtuelle Netz- auch wenn man selbst lange nicht mehr lebt.

„Woher soll ich nun aber wissen, was mit meiner Freundin ist? Ob sie noch lebt oder einfach nur umgezogen ist.“

Plötzlich stocke ich: „Hat sie denn je existiert? Ich kenne sie doch nur vom Hören. Und vom Lesen. Sie konnte wirklich tolle Texte schreiben. Und hübsch war sie. Aber getroffen habe ich sie nie. Hatte immer etwas zu tun. Wich mir sozusagen aus. So, als wollte sie nicht, dass wir uns persönlich treffen. Woher also kann ich wissen, ob sie es war, die ich glaubte zu kennen? Glaubte, zur Freundin zu haben? Was, wenn gar nicht sie, sondern jemand anderer hinter dem Profil steckte? Was, wenn es sich nur um ein Pseudonym handelte? Eine erfundene Identität?“

Ich war mir nicht mehr sicher. Wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Stand sie denn überhaupt je im Telefonbuch? Oder glaubet ich immer nur, sie darin zu finden? Habe ich denn je wirklich nach ihr gesucht? Nach ihrem NAMEN? Oder hat mich die Tatsache, eine Person mit Namen und Persönlichkeit zu kennen, dermaßen geblendet um die Realität zu ignorieren?“

Und wieder frage ich mich: „Wer sind wir?

Und wohin gehen wir?

Bin ich selbst denn wirklich diejenige, die ich glaube zu sein? Die ich VORGEBE zu sein? Oder bin ich nur eine Illusion meines Selbst? Eine Wunschvorstellung? Jemand, der ich gerne sein würde, aber nie sein werde?“

Ich denke nach.

„Der erste Eindruck zählt, so heißt es. Doch was, wenn wir die Möglichkeit besitzen, den ersten Eindruck dermaßen zu unseren Gunsten zu manipulieren, dass er einem Ideal entspricht, das uns im Endeffekt gar nicht mehr gleicht? Wir werden gesucht. Und gefunden. Täglich. Stündlich. In jeder Minute. Doch beweist das, was wir finden, auch wirklich die Existenz derer, die wir suchen? Oder handelt es sich hierbei um bloße Identitäten? Um Profile?- Täterprofile?

Aber warum? Warum geben wir Dinge vor, die nicht so sind? Streben danach jemand zu sein, der in Wirklichkeit so gar nicht existieren könnte? Warum reicht es uns nicht, bloß wir selbst zu sein? Getrieben von dem Gedanken, ständig besser, hübscher, intelligenter, erfolgreicher und beliebter zu sein. Ist es die Angst davor, übersehen zu werden? Die Angst davor, nicht in Erinnerung zu bleiben? Die Angst davor, im Nachhinein nie existiert zu haben, weil man nur Mittelmaß war? Weil man weder etwas Besonderes gleistet hat, noch die Welt verändern konnte?

Wer bestimmt den Maßstab? Und wer gibt uns das Recht über die Bedeutsamkeit anderer zu urteilen? Ist es lediglich ein Ausdruck unserer eigenen Verzweiflung? Und die einzige Möglichkeit die wir darin sehen?- Nämlich die, andere zu verurteilen, zu diskriminieren und runterzumachen um uns selbst in ein besseres Licht zu rücken? Um leben zu können? Um zu existieren?“

Ich stehe auf und gehe ins Bad. Stelle mich vor den Spiegel und betrachte mich. Kritisch. Unzufrieden. Verurteilend. Doch irgendwas beruhigt mich. Ich sehe näher hin. Betrachte sie genauer, diese junge Frau, die mir gegenüber steht.

„Wer bist du?“

 

Und höre mich sagen: „Du bist einfach du. So wie du bist. Nicht mehr und nicht weniger. Nicht besser und nicht schlechter. Sondern genauso, wie du eben bist!“